Umsatz durch Transformation
Der Wettbewerbsdruck treibt viele stationäre Einzelhändler zu Investitionen: Um sich von Wettbewerbern abzugrenzen, gestalten die großen Lebensmitteleinzelhändler Aldi, Rewe, Edeka und Real ihre Filialen grundlegend um. Das Ziel der Einzelhändler liegt darin, den angestammten Kundenkreis zu binden und neue Kunden hinzuzugewinnen. Die Effekte der Transformation ausgewählter Einzelhandelsfilialen des Unternehmens Real bildeten in den vergangenen Jahren den Untersuchungsgegenstand einer Studie des Instituts für Marketing (IfM), die mit dem Wissenschaftspreis 2020 der EHI Stiftung ausgezeichnet wurde.
Im Lebensmitteleinzelhandel sind Kaufentscheidungen meist von Gewohnheiten getrieben. Disruptive Veränderungen der Einkaufsumgebung können daher dazu führen, dass Kunden von ihrem gewohnten Verhalten abweichen und Kaufentscheidungen im Hinblick auf alternative Optionen neu bewerten. Eine radikale Neugestaltung stationärer Filialen geht zudem für Händler mit hohen Kosten und einer sinkenden Flexibilität einher, da neue attraktive Standorte häufig schwer zu finden sind, weshalb eine Umgestaltung bestehender Flächen angestrebt wird.
Ein Beispiel für eine solche Transformation bildet das Unternehmen Real. Nachdem sich die Einzelhandelskette über viele Jahre hinweg sowohl in Preis und Qualität im mittleren Segment positionierte, wurden im Zuge eines Neuerungsprozesses ausgewählte Filialen für das Premium-Segment umgerüstet. Die grundlegende Transformation umfasst eine optische Neugestaltung, einen deutlich verbesserten gastronomischen Service, eine wachsende Sortimentsvielfalt, eine höhere Qualifikation der Mitarbeiter sowie ein modernes und stilvolles Ambiente. „Das Gute leben“, so lautet der Leitgedanke hinter dem Konzept. In den Filialen, die sich durch den Charakter einer Markthalle auszeichnen, können Kunden vom Metzger bis zur Kaffeerösterei zahlreiche Services unter einem Dach finden.
Die erste der zur Markthalle transformierten Filialen am Standort Krefeld bildete über mehrere Jahre hinweg das Untersuchungsobjekt einer Studie des Instituts für Marketing. Ziel der Studie war es, den Einfluss der Neupositionierung auf den Umsatzerfolg und das Kaufverhalten der Kunden zu untersuchen. Neben Prof. Dr. Manfred Krafft und Dr. Mirja Kroschke vom Marketing Center Münster waren auf wissenschaftlicher Seite die Professoren Els Breugelmans (KU Antwerpen), Marleen Hermans (Radboud Universiteit) und Murali Mantrala (ISB Hyderabad) in einem Untersuchungszeitraum von dreieinhalb Jahren an dem Projekt beteiligt.
Die Ergebnisse der Studie zeigen in Bezug auf die transformierte Filiale kurzfristig keine substanzielle Umsatzsteigerung. Mittel- bis langfristig zeigt die Untersuchung jedoch positive – wenn auch unerwartete – Ergebnisse. So gehen die Umsätze, die auf Kunden aus dem Loyalitätsprogramm des Einzelhändlers zurückzuführen sind, insgesamt zurück. Die Umsätze von an diesem Programm nicht beteiligten Kunden nehmen hingegen deutlich zu. Langfristig zeigt sich so ein positiver Umsatztrend, der auf einer erhöhten Zahl an Neukunden beruht. Auch im Hinblick auf das gesamte geografische Cluster – bestehend aus der transformierten und zwei traditionellen Filialen der Kette – steigen die Umsätze. So nutzen Kunden aus dem Loyalitätsprogramm in der Folge vermehrt das traditionelle Filialangebot.
Die Studie zeigt, dass die Transformation der Filiale eine erfolgswirksame Maßnahme im Kontext des hohen Wettbewerbsdrucks im Lebensmitteleinzelhandel darstellen kann. Da eine Transformation mit einem hohen Zeit- und Investitionsaufwand einhergeht, ist eine simultane Umgestaltung einer Vielzahl von Filialen jedoch mit besonderen Herausforderungen verbunden. Die Autoren empfehlen daher eine hybride Strategie aus Transformation und Erhaltung etablierter Filialkonzepte in geografischen Clustern. Loyale Kunden haben so die Möglichkeit, zukünftig eine nahegelegene Filiale derselben Kette aufzusuchen, wenn die Transformation nicht ihren persönlichen Bedürfnissen entspricht. Die radikale Transformation ermöglicht vor allem eine Gewinnung von Neukunden, die sich für hochwertige Formate begeistern können. Dieser Effekt kann durch zielgerichtete Kampagnen gesteigert werden. Eine Transformation erfordert jedoch eine sorgfältige Planung. Auch sollte die Bedeutung von Schließungsphasen nicht vernachlässigt werden.
Für das Forschungsprojekt wurden Prof. Dr. Manfred Krafft und Dr. Mirja Kroschke mit dem renommierten Wissenschaftspreis 2020 in der Kategorie „Bestes Lehrstuhlprojekt“ ausgezeichnet. Seit 2008 wird der von der EHI-Stiftung und GS1 ausgelobte Wissenschaftspreis zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses sowie zur Stärkung des Dialogs von Wissenschaft und Handel für exzellente Masterarbeiten, Dissertationen, Lehrstuhlprojekte sowie universitäre Startups vergeben.